Der Handelsverband Deutschland geht davon aus, dass 2023 rund 85 Milliarden Euro im Onlinehandel umgesetzt wurden.
Nach langem Aufschwung macht sich im deutschen Onlinehandel Ernüchterung breit. Die Zahlen stagnieren, die Konkurrenz um Temu und Co. wächst. Wie es um die Branche steht und wo neue Risiken lauern.
Onlinehändler ritten viele Jahre die Welle des Erfolges. Wegen der Coronapandemie und der damit oft weggefallenen Möglichkeit vor Ort einzukaufen, schossen die Umsätze in die Höhe. Gegenüber 2019 stieg das absolute Wachstum im Onlinehandel 2020 um 13,7 Prozent. 2021 kamen nochmal fast 14 Prozent dazu. Das berichtet der Handelsverband Deutschland (HDE).
2022 aber flachte die Welle ab. Gegenüber dem Vorjahr sank das Wachstum um knapp zwei Prozent. „Die hohen Wachstumsraten während der Corona-Jahre machen es der Branche schwer, die Messlatte immer weiter nach oben zu legen“, sagte etwa der stellvertretende HDE-Hauptgeschäftsführer Stephan Tromp.
Trotzdem konnte der HDE seine Umsatzdaten für den Onlinehandel für 2023 leicht nach oben korrigieren, genauso wie seine Prognose für 2024. „Diejenigen, die während der Pandemie gelernt haben, online zu shoppen, sind auch dabei geblieben“, sagte Tromp.
Der Verband geht für das vergangene Jahr von einem Umsatz von rund 85 Milliarden Euro aus, was einer Steigerung von einem Prozent entspricht. Immerhin. Vorher rechnete der HDE mit einem Minus von 0,4 Prozent. Für das laufende Jahr sagt der Verband ein Wachstum von 3,4 Prozent und einen Umsatz von rund 88,3 Milliarden Euro voraus. Zu Jahresbeginn lag die Prognose noch bei drei Prozent.
Die Zahlen gehen aus dem aktuellen HDE-Onlinemonitor hervor, der jedes Jahr von dem Verband veröffentlicht wird und die wichtigsten Kennzahlen für den Handel im Internet abbildet. Und der zeigt auch: Der Online-Anteil am gesamten Einzelhandelsumsatz in Deutschland wird 2024 voraussichtlich bei mehr als 13 Prozent liegen. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren lag der Anteil bei noch nicht mal acht Prozent.
Gekauft wird vor allem mit dem Smartphone
Für den Onlinehandel werden die digitalen Marktplätze immer wichtiger. Damit sind Plattformen Dritter gemeint, auf denen Käufer und Verkäufer zusammenkommen – also etwa Amazon oder Ebay. 2023 wurden auf diesen Plattformen erstmals mehr die Hälfte der Online-Umsätze in Deutschland erwirtschaftet. Der Bereich wuchs innerhalb des vergangenen Jahres um zehn Prozent.
Im Internet gekauft werden vor allem Bekleidung und Accessoires, laut HDE machte diese Sparte 2023 fast ein Viertel des Umsatzes aus. Auf Platz zwei folgt der Handel mit Elektrogeräten, der über ein Fünftel des Volumens einfährt. Ebenfalls beliebt: Artikel für den Freizeitbedarf, Einrichtungsgegenstände und Lebensmittel. Mit 8,7 Prozent hat der Bereich mit Produkten des täglichen Bedarfs sogar am meisten zugelegt. Darunter fallen aber etwa auch Hygieneartikel und Kosmetik.
Bei der Wahl des Endgerätes für die Bestellungen ist das Smartphone auf dem Siegeszug. 2023 wurden 55 Prozent der Online-Umsätze mit Bestellungen über das Smartphone generiert. Das entspricht knapp 47 Milliarden Euro.
Bestellt wird dabei im Ausland. Eine entsprechende Umfrage des Instituts für Handelsforschung aus Köln zeigt, dass 2023 bereits 22 Prozent der Befragten bewusst im Ausland bestellen, weitere 40 Prozent unbewusst. Will heißen: Dass sie im Ausland bestellt haben, haben sie erst bei der Bestellbestätigung oder Lieferung erfahren. Nicht im Ausland bestellen, wollen hingegen nur 19 Prozent. Geliefert werden die Waren aus Österreich, Großbritannien – und vor allem China.
Ausländische Anbieter gefährden den Wettbewerb
Kein Wunder: Asiatische Angreifer wie Temu und Shein werden immer bekannter, beliebter und stärker. Das liege vor allem daran, dass die chinesischen Händler massiv in Werbung investierten, um Bekanntheit und Reichweite zu steigern. Kunden locken sie mit teil sehr günstigen Preisen.
Stephan Tromp warnt aber vor Händlern, die sich nicht an die Regeln halten: „Mit Blick auf Temu ist in aller Munde, dass ein bedeutender Anteil der dort bestellten Waren unsere in der EU gültigen Vorgaben für Preisangaben, Webseitengestaltungen, Produktsicherung, Umweltschutz oder Steuer- und Zollrecht nicht einhält“, sagt er. „Das darf kein Dauerzustand sein.“
Gegenüber dem „Handelsblatt“ forderte der Chef der Handelskette Rossmann, Raoul Roßmann, die Politik auf härter gegen Plattformen wie Temu vorzugehen – und sie notfalls abzuschalten, wenn sie sich nicht an die Regeln halten.
Der HDE sieht die Behörden in der Pflicht, geltende Bestimmungen auch durchzusetzen. Ansonsten würden sich korrekt verhaltende Händler innerhalb der EU im Nachteil sehen – und der faire Wettbewerb sei damit in Gefahr.
Der Verband gibt an, dass 2023 ungefähr zwei Milliarden Pakete in die EU eingeführt wurden, die einen Warenwert von unter 150 Euro hatten und damit unter der Zollfreigrenze liegen. Die Behörden seien damit überfordert, diese Paketflut zu kontrollieren – und das macht laut Tromp einen Vollzug der Gesetze unmöglich. Daher fordert der HDE unter anderem, die Zollfreigrenze schneller abzuschaffen. Das ist bisher für 2028 geplant. Außerdem müsse der Zoll digitalisiert und fit für mehr Stichproben gemacht werden.
06. Mai 2024 | Kevin Gallant | WiWo