Experten erwarten einen fortgesetzt schwachen digitalen Handel, da Kunden verstärkt auf Preise achten. Unternehmen sollten auf Profitabilität setzen – ansonsten geraten sie in Gefahr.
Düsseldorf. Die Inflation hinterlässt Spuren im Onlinehandel. Immerhin ist für jeden zweiten Verbraucher der Preis das wichtigste Kriterium bei der Kaufentscheidung. Das zeigt eine Umfrage der Digital-Beratung Etribes unter 614 Konsumenten. Die Lieferzeit wird dagegen unwichtiger: 58 Prozent sind mittlerweile bereit, eine Woche auf ihr Paket zu warten, wenn sie dafür 20 Prozent sparen können.
Für E-Commerce-Unternehmen wie Amazon, Zalando oder Mediamarkt sind das schlechte Nachrichten. Denn das bedeutet, dass ihre chinesischen Konkurrenten Temu und Shein in Deutschland noch mehr Umsatz erzielen dürften. Genau das ist nämlich ihr Geschäftsmodell: Ihre Lieferungen sind selten am nächsten Tag da – aber dafür bieten sie konkurrenzlos niedrige Preise.
Damit sind die Aussichten für deutsche Onlinehändler weiter schlecht. „Das Jahr 2024 wird wohl noch schwieriger als das vergangene Jahr“, prognostiziert Max Albrecht, Handelsexperte des Beratungsunternehmens Alix Partners. „Der Onlinehandel ist in der Krise“, sagt er. Nur wenige Unternehmen dürften diese Phase unbeschadet überstehen.
Umsatz im E-Commerce ist bei großen Händlern gesunken
Das zeigen bereits die jüngsten Zahlen der Händler. So ging bei Ceconomy, der Muttergesellschaft von Mediamarkt und Saturn, der Onlineumsatz im Ende September zu Ende gegangenen Geschäftsjahr 2022/23 um 7,5 Prozent auf 4,9 Milliarden Euro zurück. Bei Zalando sank der Umsatz im dritten Quartal um 3,2 Prozent. Im gesamten deutschen Onlinehandel beträgt das Umsatzminus im abgelaufenen Jahr laut Zahlen des Onlinehandelsverbands BEVH sogar 12,5 Prozent.
Die Konjunkturprognosen lassen keine wirkliche Erholung erwarten – eher im Gegenteil. In einer repräsentativen Umfrage des Forschungsinstituts Yougov im Auftrag von Alix Partners gaben 35 Prozent der Befragten an, dass sie ihre Konsumausgaben noch weiter einschränken
„Die Delle in der Entwicklung des Onlinehandels ist größer als gedacht“, sagt auch Vanessa Stützle, CEO des Onlinehändlers Luqom, der mit Lampen einen Umsatz von rund 400 Millionen Euro macht. Die frühere Onlinechefin der Parfümeriekette Douglas schätzt zwar, dass sich der E-Commerce 2024 besser entwickeln wird als der stationäre Handel. „Ob es dabei zu einem Umsatzwachstum reicht, hängt von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab“, schränkt aber auch sie ein.
Luqom-Chefin Vanessa Stützle sieht die Geschäftsmodelle im E-Commerce immer komplexer werden. Foto: Douglas
Das große Problem ist die mangelnde Profitabilität quer durch den E-Commerce. „Selbst in der verrückten Wachstumsphase während der Pandemie hat kaum jemand im E-Commerce richtig Geld verdient“, betont Handelsexperte Albrecht. „Sogar eine Erfolgsgeschichte wie Zalando ist keine Gewinnmaschine.“
Der Handelsberater weist darauf hin, dass auch Amazon sein Handelsgeschäft über die Gewinne aus dem Cloud-Geschäft finanziert. „Es war immer der Gedanke, dass mit dem Wachstum irgendwann die Profitabilität kommt“, so Albrecht. Aber das habe nicht funktioniert. „Viele sind strukturell nicht profitabel.“
„Die Erwartung, die viele Investoren hatten, dass nur eine bestimmte Umsatzschwelle durchbrochen werden muss und dann die Profitabilität exponentiell ansteigt, ist nicht eingetreten“, beobachtet auch Luqom-Chefin Stützle. Der Grund sei, dass die Geschäftsmodelle immer komplexer werden.
„Es ist extrem wichtig, dass die Unternehmen profitabel arbeiten“, betont Stützle. Nur jene Händler würden es schaffen, die eine ausreichend hohe Bruttomarge haben und die bei den großen Kostenblöcken Personal, Logistik und Marketing effizient arbeiten können. „Unter den Unternehmen, die das nicht schaffen, wird eine Auslese stattfinden“, prognostiziert sie.
Zalando und Otto setzen auf Profitabilität statt nur auf Umsatz
Das erwartet auch Constanze Freienstein. Die frühere Topmanagerin von Händlern wie Hudson’s Bay und Lands End berät heute Handelsunternehmen als Partnerin von Alix Partners. „Die Phase des Wachstums um jeden Preis ist vorbei“, stellt sie fest, der Markt komme in die Konsolidierung. Und sie mahnt: „Wer jetzt nicht auf profitables Wachstum umsteuert, wird nicht überleben.“
Zalando erlebte als einer der großen Profiteure der Coronapandemie einen Boom. Jetzt kämpft der Händler mit sinkendem Umsatz.
Wie hart viele Onlinehändler gegen die roten Zahlen kämpfen, zeigt das Beispiel Zalando. Der Modehändler hat im vergangenen Jahr seine Marketingausgaben deutlich zurückgefahren, in den ersten neun Monaten sanken sie um 8,6 Prozent auf knapp 500 Millionen Euro. Auch die Logistikkosten sanken. Das Ergebnis vor Steuern und Zinsen konnte Zalando so knapp ins Plus drücken.
„Wir steuern auf Ergebnis, nicht auf Umsatz“, betont auch Alexander Birken, Vorstandsvorsitzender der Otto Group. Im ersten Halbjahr des Geschäftsjahres 2023/24 (März bis August) lag der Umsatz der Gruppe um drei Prozent unter dem Vorjahresniveau.
Doch angesichts der noch viel schlechteren Branchenentwicklung zeige dies, „dass wir selbst in besonders herausfordernden Geschäftsmodellen noch wettbewerbsfähig sind“, sagte Birken im Interview mit dem Handelsblatt.
Expertin Freienstein gibt jedoch zu bedenken, dass trotz aller Sparbemühungen die hohen Marketingkosten im E-Commerce dauerhaft auf der Profitabilität lasten werden. Darauf seien nahezu alle E-Commerce-Firmen absolut angewiesen. „Die digitalen Marketingkosten, beispielsweise für Google-Anzeigen, sind zwischen 2020 und 2023 um 30 Prozent gewachsen und wir erwarten auch künftig einen Anstieg um zehn Prozent pro Jahr“, sagt sie voraus.
Temu und Shein machen Milliardenumsatz in Deutschland
Umso härter wird viele Onlinehändler die Konkurrenz durch die chinesischen Anbieter Shein und insbesondere Temu treffen. Denn diese sind viel weniger auf Google-Anzeigen angewiesen, gewinnen viele Kunden über Social Media.
Während die Kunden bei Amazon gezielt nach Produkten suchen, die sie brauchen, läuft der Einkauf bei Shein und Temu wie ein vergnüglicher Shoppingbummel ab – nur eben digital. Durch Gewinnspiele, personalisierte Angebote und einen Feed wie etwa bei Instagram halten sie die Kunden lange in der App.
„Die großen Onlinehändler wie Amazon oder Zalando tun sich sehr schwer mit der Transformation in diese neue Art des inspirativen E-Commerce“, sagt Onlinehandelsexperte Alex Graf, CEO des Software-Anbieters Spryker und Mitgründer der Digitalberatung Etribes. Sie könnten ihr Geschäftsprinzip nicht einfach umstellen, sondern müssten parallel Kopien von Temu oder Shein bauen, um auf die neuen Herausforderer zu reagieren.
Der Erfolg von Temu und Shein, die nach seiner Einschätzung im vergangenen Jahr jeweils eine Milliarde Euro Umsatz in Deutschland gemacht haben, legt all die Probleme offen, die die europäischen Onlinehändler haben: in der Lieferkette, beim Preis, bei der Auswahl und bei der Inspiration.
Deshalb würden viele Onlinehändler im neuen Jahr große Probleme bekommen, erwartet der Digitalexperte. „2024 könnte es eine richtige Klatsche für die alten Onlinehändler geben, dagegen wird dann die Peek & Cloppenburg-Insolvenz ganz harmlos wirken.“