welt.de| 11.09.2022 | Carten Dierig
Die galoppierenden Energiepreise lassen den Bestand an Verpackungsmaterial schrumpfen. Händler experimentieren daher nun mit neuen Materialien. Denn die bisherige Strategie könnte schon bald nicht mehr reichen.
Den Onlinehändlern in Deutschland fehlen Kartons. Drei von vier Versendern hätten einer Umfrage zufolge nicht mehr genug Verpackungsmaterial für die kommenden Monate, meldet der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (BEVH).
Grund sind die stark gestiegenen Energiepreise, die zu Produktions- und Liefereinschränkungen bei Papier und Pappe führen. „Aus Gesprächen mit den Händlern wissen wir, dass sich die Mehrheit zwar rechtzeitig bevorratet hat – die Rede ist teils von einer Vervierfachung der Lagerbestände“, sagt Martin Groß-Albenhausen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BEVH. „Steigen die Preise aber weiter, wird auch das nicht mehr reichen.“
Fast ein Viertel der zwischen Ende Juni und Ende August befragten Unternehmen habe zudem nicht die finanziellen Mittel, um die deutlich gestiegenen Kartonage-Preise zu stemmen, und arbeite daher an alternativen Verpackungen.
„Einige versuchen, Kartons wiederzuverwenden oder weichen auf B-Ware aus, andere sehen sich nach alternativen Verpackungsmaterialien um wie zum Beispiel Kraftpapier statt Faltkartons“, berichtet Groß-Albenhausen.
Mildernd auf den Mangel wirkt sich derzeit allerdings aus, dass die Zahl der Bestellungen bei den Onlinehändlern deutlich zurückgegangen ist.
Der Boom der Corona-Jahre 2020 und 2021 scheint zumindest vorerst vorbei. So lagen die Umsätze im ersten Halbjahr 2022 laut Statistischem Bundesamt rund 1,3 Prozent unter dem Vorjahr.
Schwach fiel vor allem das zweite Quartal mit einem Minus von fast zehn Prozent aus. Allein im Juni schlug ein Einbruch von fast 15 Prozent und damit der größte Monatsverlust seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 1994 zu Buche.
„Der Konsumschock erfasst auch den E-Commerce“, so der BEVH. „Die Deutschen schränken sich angesichts steigender Lebenshaltungs- und Energiekosten bei nicht benötigten Waren oder Dienstleistungen deutlich ein.“
Der Online-Einkauf sei zwar normal für die Menschen geworden, aber dem allgemeinen Konsumklima und der Gesamtwirtschaft entziehen könne er sich nicht. Umsatzrückgänge gebe es vor allem in Kategorien, die auch im stationären Handel unter Druck stehen wie Mode und Schuhe oder Möbel und Elektronikartikel.
„Bei nicht aufschiebbaren Käufen ist die Entwicklung dagegen weiterhin normal“, sagt Groß-Albenhausen. Gefragt sind hier zum Beispiel Haushaltsgeräte, Medikamente oder Tierbedarf.
Seine Jahresprognose in Höhe von 111 Milliarden Euro hat der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel einkassiert. Und eine neue Einschätzung abzugeben, wagt er derzeit nicht. Denn der Effekt der Inflation auf das Kaufverhalten sei auch psychologisch getrieben – und dies lasse sich nur schwer vorhersagen.
Im Juli gingen die Umsätze dem Statistischen Bundesamt zufolge immerhin wieder etwas nach oben, konkret um 5,1 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Die Experten des Marktforschungsinstituts GfK bleiben für den weiteren Jahresverlauf jedoch skeptisch und verweisen auf eine sprunghaft steigende Sparneigung, die mittlerweile so hoch ist wie seit elf Jahren nicht mehr.
Und die Situation dürfte sich in den kommenden Monaten wohl weiter verschärfen, wenn die Verbraucher Geld für teils drastisch höhere Energierechnungen zur Seite legen müssen.