Beginn einer neuen Ära im Onlinehandel mit Inkrafttreten der europäischen Richtlinie „Plattform-to-Business-Verordnung“ zum 12.07.2020.
Zitat von Chris Reinhardt am 11. Juli 2020, 16:55 UhrDie Reihenfolge der Produkte auf Amazon und anderen Marktplätzen ist der große Erfolgsfaktor im Handel. Bisher ist das ein Geheimnis. Künftig müssen die Faktoren transparent sein. Das hat Auswirkungen für Händler – und Verbraucher.
Eine Onlinesuche nach, sagen wir, Damen-Sneakers auf Amazon liefert im Handumdrehen mehr als 50.000 Ergebnisse. Sportschuhe von Superga, Puma, Vans, HKR, Nike, Converse und anderen. In der schier unendlichen Warenwelt des Amazon-Marktplatzes warten insgesamt schätzungsweise 568 Millionen unterschiedliche Artikel auf Käufer, in jeder Kategorie Zehn- oder Hunderttausende. Warum aber stehen gerade Superga-Treter ganz oben – und nicht andere?
Dies ist eine Frage, die unabhängige Händler auf dem Amazon-Marktplatz brennend interessiert. Nicht nur dort, sondern auch auf Dutzenden anderen digitalen Märkten von Ebay über Otto.de bis Zalando. Das Ranking, die Reihenfolge der Präsentation von Artikeln auf einem virtuellen Marktplatz, spielt eine entscheidende Rolle für den Verkaufserfolg. Schon die zweite Internetseite trifft auf deutlich weniger Interesse der potenziellen Kundschaft, nach der dritten droht der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit.
Bisher können die Verkäufer nur raten, wer warum und wann mit seinem Angebot oben landet. Branchenbeobachter wählen gerne den Vergleich von David und Goliath, um die Machtverteilung zwischen Händlern und Plattformbetreibern zu beschreiben. Ob Ranking, gesperrte Händlerkonten, sogar eingefrorene Guthaben – die Shopeigner können erst mal nur zuschauen. Bis jetzt. Denn das ändert sich gerade.
An diesem Sonntag treten neue Regeln in Kraft, die das Machtgefüge zu ihren Gunsten verschiebt. Ab dem 12. Juli gilt europaweit die neue „Plattform-to-Business-Verordnung“ der EU, kurz P2B. Für Hunderttausende kleiner Onlinehändler auf den großen Internetmarktplätzen ist es die Formel für eine neue Ära.
„Wir sehen die P2B-Verordnung als einen ersten großen Schritt in die richtige Richtung. Die Beziehung zwischen Händlern und Marktplätzen wird neu definiert“, sagt Oliver Prothmann, Präsident des Bundesverband Onlinehandel (BVOH). „Die EU ist hier einen wirklich sinnvollen Schritt gegangen. Und es ist zu erwarten, dass sich die Plattformen auch daran halten, denn sie müssen darüber Bericht erstatten“, meint auch E-Commerce-Berater Mark Steier.
Denn bisher sind Händler und Marktplatzeigner nur theoretisch Geschäftspartner auf Augenhöhe. Zwar ist kein Onlinehändler gezwungen, seine Ware über Amazon, Ebay, Google Shopping oder Rakuten anzubieten. Doch de facto sind die meisten Shops existenziell auf die Verkaufspower der Plattformen angewiesen. Diese verfügen über die Datenhoheit, sie entscheiden über den Kundenzugang, sie steuern die Prozesse.
Plattformbetreiber müssen ihren Ranking-Algorithmus offenlegen
Die neue Verordnung erfasst alle „Onlinevermittlungsdienste“, also neben Plattformen beispielsweise auch Hotel- und Flugbuchungsportale, soziale Netzwerke mit Direktkaufmöglichkeit oder Preisvergleichsportale. Experten schätzen, dass allein in Deutschland rund 7000 Plattformen, Apps und Suchmaschinen von der P2B-Verordnung betroffen sind.
Im Einzelnen müssen die Betreiber beispielsweise schon in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) darlegen, aus welchen Gründen Händlerkonten gesperrt werden können. Auch das Ranking-Rätsel wird weitgehend gelöst. In den Geschäftsbedingungen muss nachzulesen sein, welche Maßstäbe angewandt und wie die Kriterien gewichtet werden. „Plattformbetreiber werden zu mehr Transparenz und Fairness verpflichtet“, fasst die Kanzlei Noerr zusammen.
„Die wichtigste Regelung sehen wir in der neuen Möglichkeit der Mediation“, erklärt Prothmann. Plattformen müssen künftig ein kostenfreies internes System zur Streitschlichtung etablieren. Wichtig für kleine Teilnehmer sei vor allem, dass es nicht mehr zu langen, teils mehrmonatigen Kontensperrungen einschließlich des Einfrierens von Guthaben komme, so Steier. Diese Praxis hat manche Betroffene an den Rand der Verzweiflung getrieben.
Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit bei den Neuerungen steht Amazon – schon wegen seiner Größe. Über seine Systeme läuft mehr als die Hälfte des gesamten deutschen E-Commerce im Umfang von jährlich rund 60 Milliarden Euro. Dabei entfällt der größere Teil auf den Market Place und der Rest auf Waren, die der US-Konzerns selbst verkauft.
Während Amazon die Absatzchancen betont, die es Vertriebspartnern eröffne, verzeichnete das Bundeskartellamt zahlreiche Beschwerden von Shopbetreiber und stellte letztes Jahr ein Missbrauchsverfahren erst nach Zugeständnissen Amazons ein.
Die Durchführung von Schlichtungsverfahren ist allerdings nicht zwingend. „Wir führen die Mediation als Option ein, um Streitigkeiten mit Verkäufern außergerichtlich beizulegen“, heißt es etwa in den „Neuen Programmrichtlinien“ von Amazon. Der Onlineriese hat den Londoner Dienstleister CEDR (Center for Effective Dispute Resolution) benannt, wobei Verfahren – nach Wahl des Händlers – auch auf Deutsch stattfinden können.
Amazon, Otto und Zalando haben ihre Regeln angepasst
Amazon hat nach eigenen Angaben keinen Einfluss darauf, welchem Mediator das CEDR dem Fall konkret zuweist. Andere Unternehmen, etwa Otto, setzen spezialisierte Wirtschaftskanzleien ein, wieder andere nutzen den BVOH als Schlichter.
Die Plattformbetreiber haben ihre Bedingungen durchweg rechtzeitig zum Stichtag am Sonntag angepasst – mit unterschiedlichem Aufwand. „Vor dem Hintergrund, dass wir einen sehr partnerschaftlichen Umgang mit unseren Partnern unterhalten, haben wir bereits vor der P2B-Verordnung wesentliche Vorgaben erfüllt“, sagte etwa eine Zalando-Sprecherin.
Die Otto-Gruppe wertet die Veränderungen als unproblematisch. Amazon hat nach Angaben eines Sprechers die Geschäftsbedingungen in Deutschland kürzlich angepasst, „um sicherzustellen, dass unsere Verkaufspartner die bestmögliche Zusammenarbeit mit Amazon erleben“.
Die neuen Technologien sorgen allerdings im Unterschied zu früheren Märkten für die Möglichkeit einer fast beliebigen Vervielfältigung der Handelsmöglichkeiten. Auf Megamärkten wie bei Amazon oder der chinesischen Firma Alibaba stehen einer halben Milliarde von Offerten ebenso viele oder noch mehr Kunden gegenüber.
Im Prinzip profitieren alle von der Idee: Den Kunden kommen eine riesige Produktauswahl und die harte Konkurrenz der Händler zugute. Den Anbietern erschließt sich ein Absatzpotenzial, das auf keinem anderen Weg zu bekommen ist. Die Marktplatzbetreiber kassieren Gebühren, die sehr unterschiedlich ausfallen können.
Bei Amazon etwa liegen sie nach Angaben der Firma Sellics, einem Software-Dienstleister für Amazon-Händler, zwischen sechs und 45 Prozent des Verkaufspreises, im Schnitt bei rund 15 Prozent. Ebay und etliche kleinere Händler verlangen geringere Prozentsätze, andere deutlich höhere. Zu der prozentualen Verkaufsprovision kommt in der Regel noch eine feste monatliche Grundgebühr, die zwischen einigen Dutzend und mehreren Tausend Euro schwanken kann.
Die neuen Regeln nützen auch den Endverbrauchern, obwohl sie nicht unmittelbar darauf abzielen. Davon ist Verbandschef Prothmann überzeugt. P2B führe zu mehr Wettbewerbsgleichheit gerade für kleinere Shopbetreiber. Das fördere die Transparenz und liefere letztlich mehr gute Angebote. „Ein faireres Zusammenspiel zwischen Plattformen und Händlern führt auch zu einer besseren Kauf- und Serviceerfahrung beim Verbraucher“, meint er.
Die Reihenfolge der Produkte auf Amazon und anderen Marktplätzen ist der große Erfolgsfaktor im Handel. Bisher ist das ein Geheimnis. Künftig müssen die Faktoren transparent sein. Das hat Auswirkungen für Händler – und Verbraucher.
Eine Onlinesuche nach, sagen wir, Damen-Sneakers auf Amazon liefert im Handumdrehen mehr als 50.000 Ergebnisse. Sportschuhe von Superga, Puma, Vans, HKR, Nike, Converse und anderen. In der schier unendlichen Warenwelt des Amazon-Marktplatzes warten insgesamt schätzungsweise 568 Millionen unterschiedliche Artikel auf Käufer, in jeder Kategorie Zehn- oder Hunderttausende. Warum aber stehen gerade Superga-Treter ganz oben – und nicht andere?
Dies ist eine Frage, die unabhängige Händler auf dem Amazon-Marktplatz brennend interessiert. Nicht nur dort, sondern auch auf Dutzenden anderen digitalen Märkten von Ebay über Otto.de bis Zalando. Das Ranking, die Reihenfolge der Präsentation von Artikeln auf einem virtuellen Marktplatz, spielt eine entscheidende Rolle für den Verkaufserfolg. Schon die zweite Internetseite trifft auf deutlich weniger Interesse der potenziellen Kundschaft, nach der dritten droht der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit.
Bisher können die Verkäufer nur raten, wer warum und...
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